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… weiter geht's in Richtung türkische Grenze. Und ja, das ist mal ne richtige Grenze! Klar, Zöllner, die mal gelangweilt in die Pässe gucken und uns nicht einfach nur durchwinken sind wir langsam gewohnt. Aber der meterhohe Stacheldrahtzaun, der die Straße zwischen dem griechischen und türkischen säumt, die „Photographs prohibited“-Schilder, die daran befestigt sind, und vor allem die Soldaten, die willkürlich im ganzen Grenzbereich verteilt mit dem Gewehr in der Hand rumstehen – davon sind wir doch ein wenig überrascht. Und der türkische Zöllner ist auch der erste, für den wir die Packtaschen öffnen müssen, auch wenn die Kontrolle nur äußerst oberflächlich erfolgt. Aber schließlich haben wir den abgestempelten Zettel in der Hand, den wir bei der Ausreise wieder vorzeigen müssen, und unseren letzten Grenzübergang hinter uns.
Nur wenige Kilometer hinter der Grenze liegt Edirne; mit 140.000 Einwohnern unsere erste türkische Großstadt. Sie empfängt uns mit einer nervigen Pflastersteinstraße. An deren Ende entlohnt jedoch eine alte osmanische Steinbrücke die Strapazen, von der aus man bereits die große Moschee sehen kann.
Wir rollen über die Brücke in die Innenstadt und treffen zwei Rennradler, die an einem transkontinentalen Rennen teilnehmen: Von London nach Istanbul in zwei Wochen, 240 km pro Tag. Da ist für uns noch Luft nach oben …
Wir wechseln Geld bei einer Bank (Fabian hat Glück und bekommt von einem Türken eine Stammkunden-Karte geliehen, durch die er eine deutlich vorteilhaftere Nummer zieht und schneller dran kommt: Andere Wartende haben sich in der Bank beinahe häuslich eingerichtet …) und essen Döner (der türkische Döner ist mit dem deutschen nicht zu vergleichen und er ist nicht unbedingt besser).
Ein Mann spricht uns an, weil er die kleinen Deutschlandflaggen gesehen hat, die ich mir vor der Tour auf mein Rad geklebt habe. Endlich sieht die mal jemand! Er ist Türke, wohnt aber in Grenzach-Wyhlen (nur wenige Kilometer von unserer Heimat entfernt) und macht nun in seiner Heimat Urlaub. „So klein isch die Welt“, philosophiert er. Bei der Gelegenheit vergessen wir natürlich nicht zu erwähnen, dass wir noch keinen Schlafplatz haben (da es in Edirne keine Hostels gibt, war der Plan gewesen, abends aus der Stadt zu fahren und wildzucampen). Sunay empfiehlt uns ein paar Hotels. „Zu teuer“, schütteln wir den Kopf. „Also, wenn ihr wollt, kann isch euch auch anbieten, bei mir zu schlafen …“ Jow, es läuft …
Wir schieben unsere Räder hinter dem Mann her durch die Stadt. Er hat eine Halbglatze, ist nicht der größte, dafür aber auch nicht der dünnste. Er hat eine leise, hohe Stimme und einen chronisch traurigen Blick. Passend dazu berichtet er, als wir auf seinem Sofa sitzen, erstmal detailliert von dem Tod seines Vaters inklusive Krankheitsgeschichte. Wir nicken mitfühlend; ja, schrecklich, das Ganze.
Anders als bei den Griechen hat sein Vater offenbar kein freies Bett hinterlassen: Wir schlafen auf unseren Isomatten im Erdgeschoss, dass früher offenbar als Verkaufsraum genutzt wurde, jetzt aber leer steht. Auch ohne Bett freuen wir uns riesig über die Übernachtungsmöglichkeit mitten in Edirne, direkt neben der zentralen Moschee, und sind dem Türken unendlich dankbar.
Dieser meint, wie immer traurig dreinschauend: „Isch würde euch gern noch ne Dusche anbieten, aber das geht nicht … meine Mutter isch e bissele streng … aber bitte nicht falsch verstehen …“ Wir beteuern, dass wir mehr als zufrieden sind, mit dem, was er uns anbietet. Und das ist natürlich absolut ernst gemeint! Wir werden am Abend noch durch die Stadt geführt und unser Gastgeber weiß durchaus einiges von der Moschee, dem Rathaus und den unterirdischen Einkaufspassagen zu berichten. Wir essen Lahmacun und er bittet uns nicht falsch zu verstehen, dass er uns nicht zum Essen einladen, sondern nur die Getränke zahlen kann.
Insgesamt bittet er uns beinahe ständig mit seinem Hundeblick, ihn nicht falsch zu verstehen, und das ständige Beteuern, dass man richtig versteht und absolut zufrieden ist, geht fast ein bisschen auf die Nerven.
Er verspricht für das Frühstück am nächsten Morgen frisches Brot zu besorgen: Direkt aus dem Steinofen, wie es hier in den Bäckereien üblich ist. Das Brot am nächsten Morgen ist bestimmt schon ein paar Tage alt, aber das Frühstück ist trotzdem prächtig: Die angeblich so strenge Mutter macht uns Rührei und fragt, ob wir nicht duschen wollen: „Müsse waschen, sauber ist wichtig!“ Jetzt, kurz bevor wir aufs Rad sitzen, lehnen wir ab.
Wir verabschieden uns von allen und unser Gastgeber begleitet uns noch bis zur Hauptstraße. Erneut entschuldigt er sich für seine strenge Mutter und dass wir nicht duschen konnten und bittet uns noch mindestens fünfmal irgendwas nicht falsch zu verstehen (wobei wir die Sache mit dem Duschen tatsächlich nicht ganz richtig verstanden haben).
Wir verlassen Edirne und starten so richtig durch nach Istanbul. Mit fünf verbleibenden Tagen haben wir noch massig Zeit für die verbleibenden 300 km. Wir machen uns schon Sorgen, wie wir die Zeit in dem wohl recht flachen und daher schnell zu befahrenden europäischen Türkei-Teil rumkriegen. Im Nachhinein sind wir jedoch heil froh, uns so viel Zeit genommen haben. Warum, steht im nächsten Post …
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