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In drei Tagen über den Pass

Veröffentlicht am 04.04.2018, 18:15 Uhr in Muktinat, Nepal

Betreff: Tilicho Lake Base Camp – Muktinat


Das Thorong La High Camp auf 4900 m ist die am höchsten gelegene Übernachtungsmöglichkeit des Annapurna-Circuits. Von hier aus gilt es den 5416 m hohen Thorong-La-Pass zu überwinden. Zwei Tage sind für die rund 25 km vom Tilicho Lake Base Camp zum Thorong La High Camp angesetzt. Am dritten Tag (heute) haben wir schließlich den Pass überwunden.

Tag 1: Aussicht ins Manang-Tal

Zunächst müssen wir ein Stück auf dem Weg, auf dem wir ins Tilicho Lake Base Camp gekommen sind, zurücklaufen; erneut überqueren wir die steilen Geröllhänge und weichen herunterrutschenden, kleinen Steinen aus. Schließlich erreichen wir den Abzweig des Weges nach Manang (den wir zwei Tage zuvor gekommen waren) und des Weges Richtung Thorong-La-Pass.

Nach einigen Kilometern am Berghang entlang bietet sich uns ein grandioser Ausblick auf Manang und das Tal, das wir vergangene Woche tagelang emporgewandert sind. Die Luft ist recht klar und man sieht das türkise Flusswasser, die Häuser Manangs, die grünen Nadelbäume und dahinter, am Horizont, die weißen Gipfel, als würde man direkt vor einem Gemälde stehen.

Unsere Mittagspause legen wir kurz darauf im „Nirvana Restaurant“ ein. Wir sitzen mit einer Niederländerin am Tisch, die von drei Jungs erzählt, die ein Hotel abgelehnt haben, da es kein WiFi anbietet. „Why can't they turn off their device for two weeks? What has become of trekkers?“ Sie erzählt, sie sei mit einer gebuchten Tour unterwegs, sieben Touris plus Guide plus mehrere Träger und sogar einem Koch, der jeden Tag in der Küche der Guesthouses exklusive Gerichte für die Gruppe zubereite. Aus hygienischen Gründen schleppen die Träger eigenes Geschirr und Besteck durch die Gegend. Was ist nur aus Trekkern geworden, fragen wir uns.

Wir kommen auch mit zwei deutschen Rentnern ins Gespräch, einer der beiden ist über achtzig Jahre alt; dennoch wirken sie so fit, dass sie hier im Himalaya keineswegs fehl am Platz wirken. Für die beiden ist es das sage und schreibe einundzwanzigste bzw. fünfundzwanzigste Trekking-Abendteuer im Annapurna National Park. Den Tilicho Lake haben sie sich dieses Mal gespart, den haben sie schon bei besserem Wetter (d. h. ohne Schnee darauf) gesehen. In den nächsten Tagen werden sie nun zum vierten Mal den Thorong-La-Pass in Angriff nehmen. Bei aller Imposanz und Vielfalt des Himalayas: Um fünfundzwanzig Mal hierher zu kommen, dafür ist uns die Welt dann doch etwas zu groß.

Tag 2: Aufstieg ins Thorong La High Camp

Während es über den restlichen Annapurna-Circuit hinweg häufig noch zwei, drei alternative, parallele Wege hab (unter anderem bis Manang ja auch immer die Straße), gibt es hier oben nur noch einen Weg und die Touristen-Dichte nimmt massiv zu. Ein bisschen wie die Ameisen erklimmen sie das letzte steile Stück vor dem High Camp.

Nur gut 8 km sind es am zweiten Tag für uns bis ins High Camp und wir kommen bereits um 13:30 Uhr an. Im proppenvollen Gemeinschaftsraum herrscht Skihüttenstimmung. Wir fragen nach einem Zimmer, aber bekommen die Antwort, alle Zimmer sind bereits belegt. Gruppenreisende haben ihre Guides und Träger vorgeschickt, um sich Zimmer zu sichern. Das High Camp besteht aus nur einer Lodge, Alternativen gibt es also nicht – außer das steile Stück zur letzten Lodge, dem „Base Camp“, zurückzulaufen. Aber das kann es ja wohl nicht sein! „So, what can we do?“, haken wir nach. Vielleicht können wir ja auf der Couch im Gemeinschaftsraum schlafen.

Doch plötzlich findet sich doch noch ein Zimmer für uns; ein wenig abseits steht eine heruntergekommene Hütte mit vier Zimmern und eines ist offenbar noch frei. Es ist definitiv die bisher schäbigste Unterkunft: An einer Wand liegt etwas Schnee, da das Dach dort Löcher hat. Von unten drückt Dreckwasser durch die Dielenbretter, jedenfalls sind Teile des Bodens feucht. Das direkte Nachbarzimmer ist ein Stall, in dem über Nacht ein Pferd untergebracht wird, das uns durch sein Fenster durch anstarrt, wenn wir nachts auf dem Weg zum Plumpsklo daran vorbeikommen. Immerhin haben wir drei Betten, die im Abstand von 10 cm ins Zimmer gequetscht wurden, und wir einigen uns darauf, dass ich eine zweite Matratze kriege und Valentin eine zweite Bettdecke bekommt.

Nach einigem Suchen finden wir im Gemeinschaftsraum einen kleinen Sitzplatz auf einer niedrigen Fensterbank. Eine Ungarin spricht uns an; man habe ihr gesagt, in unserem Zimmer gäbe es noch ein drittes Bett, ob sie das haben könne. Da wollen wir uns natürlich nicht querstellen. Also doch nur eine Matratze/Bettdecke heute Nacht …

Auf nur einer dünnen Matratze schlafe ich schlecht, und Valentin geht es mit nur einer Bettdecke ebenso. Nicht zuletzt trägt neben der abartigen Kälte auch die dünne Luft dazu bei: Immer kurz nachdem wir gerade eingedöst sind, und der Körper die Atmung wie für den Schlafzustand vorgesehen automatisch reduziert hat, stellt das Gehirn offenbar fest, dass die reduzierte Atmung bei dieser dünnen Luft nicht ausreicht und weckt einen wieder auf, mit dem Gefühl, als hätte man gerade bis an die Grenze des Möglichen die Luft angehalten. Man atmet zweimal tief durch, um die Sauerstoffversorgung wiederherzustellen, döst ein und das Ganze beginnt von vorne. Ein Zyklus dauert vielleicht zwei, drei Minuten.

Tag 3: Der Thorong-La-Pass

Die meisten Trekker brechen vor 05:00 Uhr vom High Camp in Richtung Pass auf. Angeblich nehmen die kalten Winde am Pass zwischen 09:00 Uhr und 10:00 Uhr zu und es ist wohl erstrebenswert die 3,8 Kilometer und 550 Höhenmeter bis dahin zurückgelegt zu haben. Deutlich in der Minderheit sind die Stimmen, die sagen, dass 05:00 Uhr übertrieben früh ist und so finden wir uns um 06:00 Uhr als einzige im am Vorabend noch so überfüllten Gemeinschaftsraum zum Frühstück ein.

Um 06:43 Uhr beginnen wir den Aufstieg in dichten Wolken. Die Sicht beträgt rund 100 Meter. Wo der Weg einen Nordhang entlang führt, laufen wir auf einer geschlossenen Schneedecke. Bei kälteren Temperaturen sind wir bisher nicht gewandert. Zunächst sind wir alleine, die Meute befindet sich schon weiter oben, doch nach und nach holen wir Gruppen ein, zugegebenermaßen vor allem solche mit älteren Semestern oder solche, die heute Morgen im Base Camp statt im High Camp gestartet sind. Nach einer halben Stunde klart es etwas auf, die Sicht wird besser. Ein kleines, rundes Loch in den Wolken gestattet kurz einen zauberhaften Blick genau auf einen Berggipfel.

Die Landschaft erscheint eher hügelig als bergig – die hohen Gipfel, die es sicherlich gibt, sind von einem Wolkenschleier verdeckt. Insofern zeigt sich der Weg nicht als besonders spektakulär, aber die Atmosphäre ist sicherlich speziell. Nach wenigen hundert Metern geht das Weiß des Schnees in das Weiß der Wolken über. Inzwischen laufen wir inmitten von einem ganzen Haufen Trekkern. Geht es mal ein paar Meter weder bergauf noch bergab kann man beinahe ohne besondere Anstrengung ein normales Wander-Tempo erreichen. Doch schon die klitzekleinste Steigung genügt und man bewegt sich auf dieser Höhe nur noch im Zeitlupentempo fort.

Ein paar hundert Meter vor dem Pass kommt uns ein einsames Pferd entgegengerannt, die es hier gibt, um müden Touristen über den Pass zu helfen. Kurz darauf erscheint sein nepalesischer Besitzer und nun auch Verfolger. Zwei nepalesische Träger, die vor uns laufen, bringen das Pferd zum Stoppen und übergeben die Zügel dem Besitzer. Wir laufen an Pferd und Reiter vorbei und beobachten ein zweites Pferd, das die Breite seiner Beladung offenbar überschätzt hat und damit gegen einen Metallpfosten rennt, der den Weg im hohen Schnee markiert. Keine zehn Sekunden später ertönt hinter unserem Rücken ein Schrei und wir beobachten wie das Pferd Nummer eins seinen Besitzer abgeworfen hat und ihm erneut im Galopp davonläuft.

Das letzte Stück zum Pass zieht sich, aber um 09:05 Uhr haben wir es geschafft. 5416 Meter. Das große Ziel, die große Herausforderung, auf die die ganze Wanderung zugeschnitten war. Gut möglich, dass wir nie mehr in unserem Leben eine solche Höhe erreichen werden. Mir kommen tatsächlich ein paar Tränen – sowas ist mir bisher auch noch nicht passiert. Muss an der dünnen Luft liegen ;-)



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