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Wir verlassen Banja Luka in Richtung Doboj–Tuzla–Bijeljina.
Bosnien und Herzegowina hat nach dem Krieg die Konvertible Mark im festen 1:1-Wechselkurs zur Deutschen Mark eingeführt. Heute beträgt der fixe Wechselkurs zum Euro entsprechend 1:1,96. Die Zahlenwerte der Preise in den Supermärkten und Restaurants stimmen häufig dennoch mit denen überein, die man heutzutage in Deutschland erwarten würde.
Wir verlassen Banja Luka erst am Mittag; wir sind noch über den großen Markt geschlendert, der am Vorabend schon geschlossen hatte und haben in einem Café Pasta bzw. Pizza mittaggegessen. Wie es halt so ist: Sind die Preise in einem Reiseland niedrig, gibt man insgesamt nicht unbedingt weniger Geld aus als in teureren Ländern, man gönnt sich mehr.
Die Landschaft ist nach wie vor hügelig bis bergig, aber unsere Route führt uns vor allem durch Flusstäler und so geht es immer nur sehr leicht bergauf und bergab und wir kommen trotz unserer späten Abfahrtszeit gut voran. Gegen Ende eines längeren Schotterstraßenabschnitts entlang der Eisenbahnstrecke, der uns den Umweg über Prnjavor, den die größere Straße nimmt, erspart, ist ein Hinterreifen platt. Zugegeben, der Reifen hätte sich kaum eine schönere Stelle aussuchen können: Wir flicken ihn auf einer schönen Holzbrücke, die über einen kleinen Fluss führt, mit dessen Wasser wir das Loch im Schlauch suchen können.
Nach dem Flicken fahren wir noch einige Kilometer. Es wird langsam dunkel und wir werden etwas nervös, denn wir müssen noch einen Schlafplatz finden. Schließlich fragen wir an einem Restaurant nach: Das Gebäude steht einige hundert Meter hinter dem Dorf Kulasi, ein recht neues Holzhaus, das anscheinend zugleich Gaststätte und Wohnhaus ist. Es gibt einen großen, gepflegten Rasen, das Etablissement wird von einer Frau mittleren Alters geführt, die perfekt Deutsch spricht, da auch sie ihr halbes Leben in Deutschland gelebt hat – es ist einfach der perfekte Ort zum Campen für uns.
Am nächsten Morgen haben wir die Ereignisse des Vortages längst vergessen: Der erste Blick aus dem Zelt geht nicht auf den geflickten Hinterreifen und erst als wir losfahren wollen bemerken wir, dass der Reifen erneut platt ist. Wie sich herausstellt, hat der Flicken vom Vortag gehalten, es ist ein neues Loch. Wir bringen also Flicken Nummer drei am Schlauch an (das erste Loch entstand schon vor unserer Abfahrt in Regensburg), suchen Schlauch und Felge noch gründlicher als zuvor auf spitze Stellen ab, finden wieder nichts, reinigen den kompletten Mantel innen mit einem feuchten Tuch und brechen schließlich auf in der Sorge, doch etwas übersehen zu haben.
Wir fahren bis nach Doboj, der Reifen hält. Hinter Doboj quälen wir uns den Rest des Tages auf einer großen „Bundesstraße“ mit viel LKW-Verkehr in Richtung Tuzla.
Schon in Banja Luka und nun auch wieder außerhalb der Stadt werben die Läden oft mit großen 00–24h-Schildern. Man darf jedoch nicht erwarten, dass diese Geschäfte auch rund um die Uhr geöffnet haben. Wir haben nicht herausgefunden, ob es sich einfach um dreiste Werbelügen handelt, oder doch mehr dahinter steckt. Vielleicht heißt es einfach, der Laden steht auch nachts da. Rätsel gibt uns auch das 0–25h-Schild auf, das wir in Serbien fotografiert haben.
Vor Tuzla übernachten wir auf einem der wenigen bosnischen Campingplätze an einem Baggersee. Er ist anscheinend ein Überbleibsel der Kohleförderung in der Region; wir fahren an mehreren Kraftwerken vorbei.
Die nächste Nacht verbringen wir einige Kilometer vor Bijeljina. Nur sehr vereinzelt stehen hier Häuser entlang der kleinen Landstraße. Wir finden drei, vier Häuser, die zusammen einen Hof mit viel Rasen bilden und man erlaubt uns, dort unser Zelt aufzustellen. Eine alte Frau – ein einzelner Zahn ist noch übrig – scheint sehr gerührt und erfreut über die Möglichkeit uns zu helfen. Ihr Mann und eine weitere, jüngere Frau, die etwas Englisch spricht und über die wir unser Anliegen kommuniziert hatten, verhalten sich eher gleichgültig.
Man weist uns auf den kleinen „Dorfladen“ hin, in der es das Wichtigste, was man so braucht, zu kaufen gäbe. Etwas verwundert – denn abgesehen von den drei, vier Häusern haben wir eigentlich kein Dorf gesehen – laufen wir zum „Dorfladen“. Logischerweise ist er in einem Raum eines dieser drei, vier Häuser untergebracht und wie sich herausstellt ist eben diese fast zahnlose Frau auch die Besitzerin – klar, sie ist ja praktisch auch die einzige Bewohnerin des „Dorfes“. Wir kaufen eine Tüte Chips (das wichtigste was man so braucht eben) und gehen zurück zum Zelt.
Zur Abwehr der berüchtigten rumänischen Straßenhunde oder auch Bären führen wir ein Pfefferspray mit. Zwar gilt ein solches Spray in manchen Ländern des Balkans als Waffe und ist entsprechend ohne Waffenschein verboten, aber das Risiko von einer Polizei kontrolliert zu werden erschien uns geringer als das Risiko eines tierischen Angriffs. Als wir auf die serbische Grenze zufahren diskutieren wir, ob wir das Spray aus der Oberrohrtasche nehmen und tief in einer der größeren Taschen verstecken sollen. Einige hundert Meter vor der Grenze verbergen wir das Pfefferspray unter meinem Handtuch und anderem Kruscht in der großen Packtasche.
Wie es der Zufall eben oftmals so will, werde ich bei der Einreise nach Serbien zum ersten Mal überhaupt auf meinen Radreisen gefilzt. Vermutlich suchen sie nach Drogen, die wohl teilweise von Schmugglern unbemerkt ins Gepäck von Radreisenden gesteckt werden, um sie so über die Grenze zu bringen. Mir wird geheißen meine drei Haupttaschen – nicht jedoch die Oberrohrtasche – ins Zollhäuschen zu tragen und in einem kleinen Durchsuchungsraum eine nach der anderen zu öffnen und teilweise auspacken. Offenbar soll die Durchsuchung doch recht gründlich werden und werde langsam nervös. Hätten wir das Ding doch nur in der Oberrohrtasche gelassen! Während ich den Anweisungen des Beamten folge und die Tasche auspacke, macht er sich ein paar Notizen in einem Formular. Als letzte der drei Taschen ist die Tasche mit dem Pfefferspray an der Reihe. Ich werde angewiesen, die obersten Gepäckstücke auszupacken, sodass der Zöllner einen Blick hineinwerfen kann. Das Handtuch kann ich noch rausnehmen, denke ich mir, da ist noch anderes Zeugs, das über dem Spray liegt und es verbirgt. Ich hebe das Handtuch an: Direkt darunter kommt das Spray zum Vorschein. Es liegt komplett offen da. Ich werfe einen Blick auf den Zöllner – er macht sich gerade Notizen. Schnell lege ich das Handtuch wieder hin und drücke das Spray mit dem Handtuch etwas zur Seite. Zum Glück schien der Grenzer mittlerweile nicht mehr besonders optimistisch zu sein, bei mir noch etwas zu finden. Er guckt nur kurz in die Tasche und sagt „okay“. Also, schnell mit den zitternden Fingern die Tasche zu machen und zurück zum Fahrrad. Wir dürfen passieren.
In Serbien fahren wir durch eine Handvoll kleinerer Dörfer und übernachten schließlich auf dem kleinen Grundstück eines älteren Ehepaares, kurz hinter Sabac. Die Kommunikation läuft nur über Gesten, Deutsch oder Englisch wird nicht gesprochen. Doch schließlich kommt der Bruder des Mannes in einem alten Mercedes mit Münchner Kennzeichen angefahren. Er kann durchaus viele deutsche Vokabeln, scheint aber keine Ahnung von Grammatik zu haben. Bei Kaffee, Gebäck und Bier reiht er in einem Affenzahn Wort an Wort, vergisst jedoch völlig, verbindende Satzbausteine einzufügen. Das klingt dann in etwa so (man bedenke die hohe Sprechgeschwindigkeit):
„Ich zehn Jahre zurück München Wohnung neue Stadion links ab zehn Minuten Frau unten ich oben drei Zimmer dir Telefonnummer zehn Jahre du anrufen wohnen München fahren Serbien zweimal Woche Italien Kroatien einmal zwei Monat …“
Dabei ist ein Gesichtsausdruck stets begeistert lächelnd mit glühenden Augen. Dass wir zwar jedes Wort, aber letztlich trotzdem nur Bahnhof verstehen, scheint er nicht zu merken. Am nächsten Morgen fährt er für uns in die Bäckerei und kauft Burek zum Frühstück und legt wieder los wie der Wasserfall Worte aneinander zu reihen. Er bietet uns noch an, zu „duschieren“, doch kurz vor der Abfahrt lehnen wir ab.
Es regnet mal wieder leicht, an diesem Morgen, doch das Land ist flach und ein kräftiger Rückenwind bläst uns nach Belgrad hinein. In Belgrad regenerieren wir zwei Tage lang, morgen geht es weiter in Richtung Rumänien.
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