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Wir verlassen Budapest in südöstlicher Richtung und erst nach 25 km haben wir die Stadt samt Vororten endgültig verlassen und fahren auf das Land hinaus. Budapest und später auch andere ungarische Städte sind relativ radfahrerfreundlich. Das ländliche Ungarn, dort wo man natürlich ein Großteil der Strecke zurücklegt, ist für uns weniger schön: Es fehlen längere Landstraßen von niedrigem Niveau. Sprich: Die kleinen Sträßchen, auf denen das Radfahren (abgesehen von Radwegen) am angenehmsten ist, führen hier oft nur von großen „Bundesstraßen“ in den nächsten Ort und enden dort oder sie verlaufen einfach für unsere Route in die völlig falsche Richtung. Und so sind wir immer wieder gezwungen, größere Streckenabschnitte auf großen Straßen mit viel Verkehr zurückzulegen.
Außerdem ist Ungarn weit weniger flach, als erwartet. „Flach wie ein Tisch“, hieß es immer und abgesehen von dem einen Berg nördlich von Budapest (und auch über den sind wir rüber) gibt es durchaus keine richtigen Berge in dem Land. Aber gleichwohl ist es überall hügelig. Nur die 70 km am Balaton entlang waren komplett flach, aber eine landschaftliche Attraktion ist der Balatonradweg definitiv nicht: Der (vor allem auch deutsche) Tourismus hat die Dörfer am Seeufer zu einem einzigen 70 km langen Touri-Dorf zusammenwachsen lassen und zwischen der ersten Häuserzeile und dem See ist nur sehr selten noch Platz für einen Radweg. Man hat zwischen dem Radweg und dem See also immer Häuser und sieht während der gesamten Strecke nur ein paar Mal Wasser.
Dass Ungarn doch nicht gerade das perfekte Radreiseland ist, merkt man so richtig erst hinter dem NATO-Stacheldraht, der auf ungarischer Seite die kroatische Grenze markiert. In Kroatien ist es plötzlich so still und angenehm. Es ist eindeutig, Kroatien ist doch merklich ärmer als Ungarn: Hühner, die in den Gärten rumscharren, weniger Verkehr, Handarbeit auf den Feldern, freundliche, grüßende Menschen – die Anzeichen des geringeren Wohlstandes und die radfahrerfreundlichen Facetten eines Landes hängen kausal zusammen.
In Ungarn waren wir ausschließlich auf Campingplätzen, in Kroatien ist deren Dichte zu gering. Wir fragen ein älteres Ehepaar, das neben einer Holzhütte mit zwei Zimmern steht, ob wir unser Zelt auf dem Rasen aufbauen dürfen. Überhaupt kein Problem; dort steht sogar bereits ein Zelt, in dem ab und an die Enkel schlafen.
Am nächsten Morgen bietet man uns an, die Toilette zu benutzen; offenbar besitzt das Haus keinen Wasseranschluss, denn man spült, indem man eine Schüssel Wasser aus einer Regentonne ins Klo kippt. Beim gemeinsamen Frühstück erfahren wir ein wenig beruhigt, dass dies nur die Wochenendhütte des Ehepaares ist. Das relativ neue Auto und die Hollywoodschaukel verraten ebenfalls, dass die Holzhütte nicht als Gradmesser für den Wohlstand der Leute dienen kann.
Der Mann hat vier Jahre Englisch und vier Jahre Deutsch gelernt; für das bilden ganzer Sätze genügt das nicht (oder ist schon zu lange her), aber das meiste, was wir einander mitteilen wollen, kriegen wir auch mitgeteilt. Mit zwei riesigen Lunchpaketen aus dem eigenen Gemüsegarten verlassen wir das Anwesen.
Trotz des anscheinend geringeren Wohlstands Kroatiens im Vergleich mit den bisherigen Ländern unserer Reise: Die Straßen sind fast ausnahmslos in hervorragendem Zustand. Der Reifen surrt schlaglochfrei über den Asphalt.
Die Mutter des Mannes ist vor dreißig Jahren aus Kroatien nach Deutschland ausgewandert und gerade am Vortag aus München zu Besuch eingetroffen. Sie ist eine der temperamentvollsten Persönlichkeiten, die wir je getroffen haben. Ihre jungen Enkel veranstalten ein Tohuwabohu, das sie mit ihren nicht bösartigen, aber lautstarken Züchtigungsversuchen nur immer weiter anfacht. Angeregt plädiert sie beim Abendessen für mehr Liberalismus gegenüber Homosexuellen, für eine stärkere Verbundenheit innerhalb Europas und weniger islamischen Einfluss. Ständig wird sie von übermütigen Kindern unterbrochen, die sie erfolglos zu bändigen versucht. Als wir uns endlich zu unserem Zelt aufmachen, schwirrt uns ziemlich der Kopf.
Nach dieser Nacht sind es nur noch 25 km bis Zagreb und bereits zur Mittagszeit finden wir uns in einem Hostel wieder. Auch hier bleiben wir zwei Nächte, was mehr als genug für diese Stadt sein dürfte.
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